Die Geschichte vom Schicksal.

Laura Mitterer


Eine Fahrt mit der Achterbahn des Schicksals gefällig, gnä’ Frau? Bitte einsteigen, einsteigen, gut festhalten, Sorgen vergessen. Zumindest für einen Moment. Wenn der Wagen dann schlussendlich langsamer wird, die Blasmusik uns wieder in den Ohren dröhnt und auch das letzte Zipferl der Eistüte weggeknuspert ist, hat uns die Realität wieder eingeholt.
Und was hat sich geändert?

„Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär’ man gar nicht dabei gewesen.“
Ja, so spielt das Leben… Man lässt sich auf seine Höhen und Tiefen ein, ohne zu wissen, was einen nach der nächsten Kurve erwartet. Für unsere liebe Karoline wendet sich das Schicksal jedenfalls nicht zum Guten. Für sie sind die wenigen Höhepunkte der Achterbahnfahrt eine Täuschung, nichts anderes. Eine Hoffnung auf ein besseres Leben, ein Leben voll erfüllter Liebe, ein Leben voller Chancen.
Von der Tücke des Schicksals könnte uns ja der Herr Horváth selber ein Lied singen – aber der treibt sich vermutlich gerade irgendwo beim Abnormitätenkabinett herum, also müssen Sie sich mit mir begnügen, meine Damen und Herren.
Geboren in Fiume, aufgewachsen in Ungarn, Österreich und Deutschland, macht sich Horváth schon früh ein Bild von der Welt. Im Jahr 1938 beginnt sein Leben als Exilautor in Paris. Doch auch diese Stadt, die ihn vor der Verfolgung der Nationalsozialisten rettet, wird Horváth schließlich zum Verhängnis werden. An dieser Stelle kommt der Ast ins Spiel, meine Damen und Herren, der herabstürzende Ast, der Horváths bewegtes Leben abrupt und frühzeitig beenden wird.

Wenn es ein Schicksal gibt, dann hat es jedenfalls einen recht ausgeprägten Sinn für Humor. Unser lieber Herr Horváth ist nämlich bekannt für seinen starken Aberglauben. Und eben dieser Aberglaube bringt ihn dazu, in der Nacht des heftigen Gewitters über Paris im Sommer ‘38 nicht in das Auto eines Freundes einzusteigen, sondern zu Fuß die Champs-Élysées hinunter zu promenieren. Was eine…nennen wir es „unangenehme“ Begegnung mit einem fallenden Ast zur Folge hat.
Die Launen des Schicksals prägen nicht nur Horváths Leben, sondern auch das der Figuren in seinen Stücken. Immerzu scheint sich ein unsichtbares Hindernis zwischen sie und ihr Glück zu stellen. Immerzu scheint eine höhere Kraft zu bestimmen, wer gewinnt und wer verliert – und sie ist kein fairer Richter. Vor allem die Frauenfiguren in Horváths Stücken stehen am Ende meistens geschlagen da. Ohne Perspektive und Hoffnungsschimmer.
„Ich hab dir mal gesagt, Mariann, du wirst meiner Liebe nicht entgehn.“ Mit diesem Satz, meine Damen und Herren, trifft der Herr Oskar, der plumpe Fleischhauer, an den wir uns noch aus den Geschichten aus dem Wiener Wald erinnern, den Nagel auf den Kopf. Auch unsere liebe Marianne, die sich so viel mehr vom Leben und von der Liebe erhofft hat, bleibt schlussendlich dort hängen, von wo sie so verzweifelt zu entkommen versucht hat. Auch sie hat das Schicksal am Ende eingeholt.

So. Ich hoffe, ich habe Sie mit diesen tristen Erzählungen nicht allzu sehr beschwert, meine Damen und Herren. Falls ja, dann entschuldige ich mich vielmals, mea culpa, das hier ist schließlich ein Fest und auf einem Fest feiert man! Ich schlage also vor, dass Sie sich dort drüben ein kaltes Bier genehmigen und auf den Moment trinken! Man weiß ja nie, was sich als nächstes ereignen wird.
Ach ja! Und falls Ihnen unser lieber Herr Horváth über den Weg läuft – seien Sie so freundlich und erzählen Sie ihm nichts von dem Ast, sie wissen schon… Zu wissen, was als nächstes passiert, nimmt dem Ganzen doch irgendwie die Spannung.


Neue Texte von Studierenden der Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien zur Ausstellung Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur. Ödön von Horváth und das Theater. Theatermuseum, Wien, 15.3.2018-11.2.2019

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Katalog

€ 35,- (inkl. MwSt.)
ISBN-Nr: 978-3-99027-220-6

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