Fiktives Ende.

Geschichten aus dem Wiener Wald. Ödön von Horváth.

Manon-Margaux Haller


MARIANNE steht im Badezimmer.
Wenn ich nur ein bissl ein Geld hätt. Dann wär alles anders. Der Alfred, der ist kein Guter, aber allein, allein schaff ich’s nicht. So ganz ohne Geld. Wenn ich nicht arbeiten kann, muss ich einen Mann haben. Papa hat Schuld. Weil er mich die rhythmische Gymnastik ja partout nicht hat lernen lassen wollen. Und Oskar, ja der Oskar, der is nichts für mich. Ich will auch was gelten auf der Welt und wenn’s nur ein bissl was ist. Ich muss auch schauen, wo ich bleib. Weils ja sonst keiner tut.

MARIANNE geht zurück ins Zimmer. Der Hierlinger Ferdinand sitzt im Bett und stutzt seinen Schnauzer vor einem Handspiegel.
MARIANNE  Du, Ferdinand?
FERDINAND  Ja, Marianne.
MARIANNE  Liebst du mich? Liebst du mich wirklich?
Stille
Dann bring mich jetzt hinaus in die Wachau, zu meiner lieber Omama.
FERDINAND  Aber Mariandl, das is ja gar nicht deine Großmutter. Das ist die Großmutter vom Alfred. Und der soll aber ja keinen Wind bekommen von uns zwei.
MARIANNE  Soll er nicht. Das soll er ja auch nicht. Aber ich hab so ein Gefühl, weißt du.
FERDINAND  Du und deine Gefühle.
Stille
MARIANNE  Bringst mich jetzt hinaus?
FERDINAND  Aber Mariann, es ist mitten in der Nacht. Kömma das nicht morgen machen.

FERDINAND UND MARIANNE sitzen im Cabriolet am Fuße des Berges in der Wachau. Von unten kann man das Haus von Alfreds Großmutter erkennen. Weiter oben die Burgruine. Marianne steigt aus. Sie steht neben dem Auto, die Beifahrertüre in der Hand.
FERDINAND  Dass du mir nur keinen Dummheiten machst, Marianne. Hörst du?
Und dass du ja nichts von uns erzählst.
MARIANNE  Geh, hältst mich denn für ganz blöd?
Stille

MARIANNE geht den Berg hinauf.
Lieber Gott, wenn du mich hörst, dann hilf mir jetzt in dieser schweren Zeit.
Gib mir mein Kind zurück. Du weißt, dass ich es liebe. Du weißt, dass ich es nie hab wegmachen wollen. Auch nicht zur Großmutter hab ich’s geben wollen. Das weißt du.
Oben angelangt schleicht sie ums Haus und blickt dann durch das Schlafzimmer der Mutter hindurch in das gegenüberliegende Zimmer. Da liegt der kleine Leopold und schläft. Sie bemerkt, dass er kein Nachthemdchen trägt. Und auch das Fenster ist offen. Die Großmutter schleicht durch den Gang in ihr Zimmer.
Diese Sau. Diese elendige Sau! – Marianne wird schwarz vor Augen.

Es ist ein Schreien zu vernehmen. So laut und markerschütternd, als hätte der Havlitschek endlich seine Sau abgestochen. Der Hierlinger Ferdinand rennt den Berg hinauf. Beim Laufen fällt ihm die Brille aus seinem Sportjackett. Er versucht sie zu fangen, verschustert sie und tritt drauf. Aber er läuft weiter. Vollkommen außer Puste gelangt er auf den Berg. Er steht vor Marianne.

FERDINAND  Herrschaftszeiten noch einmal! Aber was soll denn, aber was ist, aber…
So wahr mir Gott helfe.
MARIANNE  steht da und lächelt. Ihre verschwitzen Haare kleben ihr an der Stirn. Der kleine Leopold schläft friedlich in ihrer linken Armbeuge. In ihrer rechten Hand baumelt der abgeschnittene Kopf der Großmutter und hinterlässt eine gewaltige Blutlache unter sich. Hinter ihr sieht man die Mutter durch die geöffnete Eingangstüre am Boden liegen. Marianne lacht halblaut vor sich hin.
Stille
Marianne lässt den Kopf der Alten zu Boden fallen. Langsam geht sie auf Ferdinand zu. Sie umarmt ihn. Dann rammt sie ihm das Messer in die linke Seite. Der Ferdinand zuckt und kippt zu Boden. Aus seinem Jackett nimmt sie die Autoschlüssel und steckt sie zu einem dicken Bündel Geld, das aus ihrer Rocktasche ragt. Sie setzt sich an den Tisch, nimmt Leopold auf ihren Schoß und verfasst einen Brief:

Lieber Alfred, lieber Papa, lieber Oskar,
Gott… der Allmächtige… hat es mit seinem unerforschlichen Willen… so gewollt.
Stille
Sie nimmt den kleinen Leopold und geht langsam den Berg hinab. Ein zufriedenes Lächeln umspielt ihre Lippen – und in der Luft ist ein Klingen und Singen, als spielte ein himmlisches Streichorchester die „Geschichten aus dem Wienerwald“ von Johann Strauss.

Ende



Neue Texte von Studierenden der Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien zur Ausstellung Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur. Ödön von Horváth und das Theater. Theatermuseum, Wien, 15.3.2018-11.2.2019

Neue Texte.PDF

Katalog

€ 35,- (inkl. MwSt.)
ISBN-Nr: 978-3-99027-220-6

to top